Die Odyssee dieses Christbaumständers
Als wir wussten, dass wir für immer von Weipert fort müssen, schaffte meine Mutter bei Nacht und Nebel diesen Christbaumständer auf dem Buckel durch den Grenzwald nach Jöhstadt, wohin eine nahe Verwandte eingeheiratet hatte. Sie wusste, wie sehr mein Vater an dem Christbaumständer hing. Im Herbst 1948 wollte die Mutter ihn aus Jöstadt holen. Sie machte sich von Weißenburg in Bayern auf den Weg. Sie fuhr zunächst mit dem Zug nach Neustadt bei Coburg, ging zu Fuß 2 km illegal über die dortige Zonengrenze nach Sonneberg, um von dort einen Zug nach Saalfeld zu bekommen. Im Wartesaal nahmen sie die Russen mit etlichen anderen Grenzgängern fest. Zwei Wochen Kerker in Unterwellenborn bei Saalfeld. Dann kam sie irgendwie per Bahn weiter nach Jöhstadt. Mit dem Ständer auf dem Buckel fuhr sie nun, auch wieder mit der Bahn, dieses Mal in Richtung Plauen im Vogtland, und von dort weiter in Richtung Hof in Bayern. Doch hinter Gutenfürst (letzter Ort in Sachsen) erwischten sie dieses Mal die Amis und setzten sie erneut für 2 Wochen im Lager Hof-Moschendorf fest. Nach etwa fünf Wochen war sie endlich wieder wohlbehalten und mit dem Christbaumständer heimgekehrt. Was hatten meine Großeltern und ich für Ängste ausgestanden! Bald darauf, es war die Adventszeit 1948, war mein Vater aus langer französischer Kriegsgefangenschaft zu uns heimgekehrt. Alle zusammen feierten wir Weihnachten mit dem sich langsam drehenden Baum über dem klingenden Christbaumständer. Welche Odyssee hatte Mutter mit all dem doch auf sich genommen!
Gerhard Scharf
So sieht der Christbaumständer von der Familie Scharf aus.