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Aus Weipert erreichte uns gestern (05.02.2018) eine sehr traurige Nachricht, die nicht nur Eisenbahnfreunde berühren dürfte. Zum Verständnis des nachfolgenden Berichts ist wichtig zu wissen, dass früher ein Teil des großen Grenzbahnhofs Weipert der ehemaligen Deutschen Reichsbahn zur Verfügung stand.

Herr Uwe Schulze, der Vorsitzende des Vereins "Denkmalpflege Weipert e.V.", berichtet:

"Als alte Weiperter und Heimatfreunde muss ich Euch mitteilen, dass die Stadt Weipert leider wieder ein kleines Wahrzeichen und Industriedenkmal verliert. Die Drehscheibe am Bahnhof befindet sich gerade in der Verschrottung. Einst gehörte sie in den Bestand der Deutschen Reichsbahn und zählt somit zur vergangenen deutschen Geschichte der Stadt Weipert. Nachdem die Anlagen der Reichsbahn nach 1945 in den Bestand der Tschechisch-Slowakischen-Staatsbahn (ČSD) übergegangen waren, bestimmte diese nun fortan allein über das Geschehen am Bahnhof Weipert."

Fotos von gestern Nachmittag von Herrn Uwe Schulze

"Lasst uns aber geschichtlich noch etwas weiter das Rad der Zeit zurückdrehen.

Mit immer höher steigendem Verkehrsaufkommen der Bahn in der Zeit um 1920, brauchte man auch leistungsfähigere Lokomotiven. Diese wurden aber nicht nur leistungsfähiger, sondern auch schwerer und länger. Mit der Zeit zog das natürlich auch einige bauliche Veränderungen nach sich. Nicht allein der Oberbau, sprich die Gleisanlagen, mussten verstärkt werden, um dem Verkehr von schwereren Lokomotiven gerecht zu werden. Das allein genügte seinerzeit nicht aus. Bahnbetriebswerke wurden vergrößert und Lokschuppen musste man baulich erweitern, um längere Lokomotiven aufnehmen zu können. So erhielt die "Lokomotivstation Weipert" im Jahre 1926 auch eine längere Drehscheibe. Die neue Scheibe hatte eine Länge von 19,5 m und ersetzte die alte Scheibe im Reichsbahnteil des Grenzbahnhofes, welche meist bis dahin eine Länge von 12,0 m oder 14,0 m hatten. Warum die alte Drehscheibe damals ersetzt wurde, lässt sich heute nicht mehr genau erklären, hängt aber vielleicht damit zusammen, dass es eine Maßnahme einer vorgesetzten Stelle der Reichsbahn gewesen ist. Die Entscheidung kam damals dem Bahnwerk Buchholz zugute, welches aus Platzgründen nur eine Drehscheibe von 16,0 m aufweisen konnte. Die Weiperter Lokbehandlungsanlagen waren jener von Buchholz unterstellt und dieses hatte von einer längeren Scheibe im 17 km entfernten Weipert seinen Nutzen."

Blicken wir einmal nach Buchholz ...

"Durch das aufstrebende Einheitslokprogramm der Reichsbahn um 1925 herum entschied man sich dafür, in Weipert eine Scheibe von 19,5 m Länge mit elektrischem Antrieb einzubauen. Das ersparte von nun an das lästige Drehen der Lokomotiven durch die Eisenbahner von Hand. Dieses war bei ständig steigendem Lokgewicht immer kraftaufwendiger geworden. Die Länge der Scheibe war damals bereits auf die geplanten Güterzugloks der Reichsbahnreihe 50 ausgelegt. (In den Kriegsjahren kamen dann noch die Kriegsloks der Baureihe 52 dazu. Beide Baureihen wurden zur Reichsbahnzeit von 1938-1945 im Bahnwerk Komotau beheimatet, welches in dieser Zeit zur Reichsbahndirektion-Dresden gehörte.) Über einen Einsatz dieser Maschinen auf der Strecke nach Weipert ist heute nichts mehr bekannt, lässt sich aber durch ihren geringen Achsdruck nicht abstreiten und ist deshalb anzunehmen. Auf der neuen Scheibe in Weipert werden nun fortan die Wendeloks von Buchholz und Chemnitz gedreht und natürlich auch die Komotauer Maschinen, für die die verbliebene böhmische Scheibe, vorn neben der Kunze Fabrik, zu kurz war.

So arbeitete in der ersten Tschechoslovakischen Republik (der 20-ger und 30-ger Jahre) die DR mit der ČSD problemlos in Weipert zusammen. Eine sehr große Verbesserung konnte auch die neue Reichsbahnscheibe am Weiperter Bahnhof deshalb aufweisen, weil sie von Anfang an eine komplette Grubenabdeckung erhalten hatte. Das ersparte in schneereichen Wintern des oberen Erzgebirges das lästige Ausschaufeln der Drehscheibengrube. Das war für mich als Lehrling in der Winterzeit oftmals meine Aufgabe im Bahnwerk Buchholz. Die Weiperter Scheibe war die letzte ihrer Art mit einer Abdeckung, die ich im Erzgebirge noch kannte."

Auf der Lok der Autor dieses Artikels

Foto: Sven Oettel

"Nach dem 28. Mai 1945 endetet der grenzüberschreitende Eisenbahnverkehr über die große Bahnbrücke, nachdem höhere Stellen an diesem Tage den Grenzübergang für den Gesamtverkehr gesperrt hatte. Diese Sperrung brachte für das Buchholzer Lokpersonal große Probleme mit sich. Der jetzige Wendebahnhof Bärenstein verfügte über keinerlei Behandlungsanlagen für Dampflokomotiven. Das Umfahren der Maschinen war ständig mit erhöhtem Rangieraufwand verbunden, da Bärenstein nicht wie Weipert über extra Umfahrgleise verfügte. Auch gab es in Bärenstein weder Kohle noch Wasser für die Lokomotiven. Selbst das Entschlacken der Feuerroste fand mangels Schlackesumpf mitten im Bärensteiner Ladegleis statt und die Heizer mussten danach die Schlacke per Hand aus dem Gleis schaufeln. Sämtliche Behandlungsanlagen im 900 m entfernten Weipert waren unerreichbar. Das größte Problem stellte aber die fehlende Drehscheibe in Bärenstein dar. Die Wendeloks der Baureihe 38 verließen Bärenstein in Richtung Chemnitz wieder mit dem Tender voraus und mussten rückwärts bis Buchholz fahren. dort bekam jeder Zug eine neue, Richtung Chemnitz gedrehte Lok. Nicht nur, dass das Rückwärtsfahren für das Personal eine sehr zugige Angelegenheit war, so brachte auch der Lokwechsel in Buchholz eine Fahrzeitverlängerung und erhöhten Personalaufwand mit sich.

Warum schreibe ich das alles? Ich möchte aufzeigen, welch große Bedeutung die Drehscheibe in Weipert einst hatte und es schön gewesen wäre, wenn man dieses Industriedenkmal erhalten hätte.

Als die Reichsbahn nun nach dem Krieg vom Bahnhof Weipert vertrieben war, nutzte die ČSD den riesigen Grenzbahnhof nur noch allein. Sämtliche Komotauer Dampfloks wendeten auf der ehemaligen Reichsbahnscheibe. Nur wurde es langsam ruhiger in der Weiperter Lokstelle. In den 1950-iger Jahren wurden die dampfgeführten Reisezüge auf Dieseltriebwagen umgestellt und nur die Güterzugmaschinen kamen noch zum Drehen in das Depot oder auch Vytopna, wie es in Tschechien hieß."

Das sind die letzten Bilder vor der Verschrottung

"Der letzte Dampfzug nach Weipert war der tägliche Postzug von Komotau herauf und auch dieser verkehrte im Jahre 1967 letztmalig und wurde eingestellt. Danach wurde die Drehscheibe nur noch zum Zwecke des Abstellens der Dieselloks vor dem Lokschuppen überfahren, was dann auch nicht mehr stattfand und die Loks verblieben gleich vorn am Bahnhof an ihrem Zug. Anfang der 1970-iger Jahre wurde der komplette böhmische Lokbereich, samt Drehscheibe an der Kunzefabrik abgebrochen und dem Erdboden gleich gemacht. Nun gab es nur noch die ehemaligen Behandlungsanlagen der Reichsbahn. Die Drehscheibe wurde nur noch selten genutzt und es wurden ab und zu Fahrzeuge der Bahnmeisterei gedreht. Im Winter kam noch das Drehen von Schneepflügen oder Schneefräsen dazu. Manchmal konnte auch das Drehen eines Triebwagens beobachtet werden, das waren Lokführer, die zu Dienstschluss nur einen Führerstand reinigen wollten.

Im Dezember 2005 durfte ich bei der Abholung eines Kohlezuges in Weipert noch einmal meine Lok für Fotozwecke auf der Drehscheibe drehen. Danach kam Anfang 2006 das Ende für die Scheibe. Ihre 1926 moderne Abdeckung wurde ihr zum Verhängnis. Im schneereichen Januar und Februar 2006 wurde die Abdeckung nicht abgeschaufelt und brach unter der Schneelast zusammen. Das war das Ende der Scheibe und sie war vollends dem Vandalismus und den Schrottdieben preisgegeben. Ich bin froh, daß ich noch einmal davor auf der Scheibe gedreht hatte und somit war es - dank der politischen Wende, die uns später sogar in der EU zusammenführte - auch eine ehemalige Reichsbahnlok, die als letzte auf der alten Reichsbahnscheibe gedreht wurde.

Die nächsten Tage wird die Verschrottung abgeschlossen sein und die Drehscheibe in Weipert ist dann für immer Geschichte.

Im Anhang ein Foto meiner letzten Drehung in Weipert und Fotos aktuell von heute.

Es grüßt Euch aus der Heimat etwas traurig,
Uwe."

P.S.

"Der Verein Denkmalpflege-Weipert hatte noch versucht Schritte einzuleiten, um das Unikat für die Stadt Weipert zu erhalten.
Leider erfuhren auch wir erst nach Beginn der Arbeiten von der Verschrottung. Zu diesem Zeitpunkt war es aber für eine Rettung in letzter Minute bereits zu spät."

So werden wir dieses Meisterstück maschinentechnischer Baukunst leider nur auf Bildern erhalten können.

Sehen Sie diesen Riesen-Zahnkranz? Welch eine Präzisionsarbeit - vom Radius her und vom Abstand der Zähne - war hier notwendig, um einen einwandfreien Lauf der Drehscheibe zu ermöglichen!

Und so wird uns die Drehscheibe in Erinnerung bleiben ...

Abtransport der Drehscheibe:

Herr Uwe Schulze, der Vorsitzende des Vereins Denkmalpflege Weipert e.V., hat uns am 12.02. geschrieben:

"Meine lieben Heimatfreunde,

nun geht hier die Geschichte der Weiperter Drehscheibe erst einmal zu Ende! Heute um 10:25 Uhr verläßt die Drehscheibe per LKW die Stadt Weipert für immer."

"Doch ist damit das Ganze noch nicht vollständig beendet. Dank der Bürgermeisterin Frau Jitka Gavdunová und Herrn
Jan Martásek ist es nun wirklich gelungen, zwei Laufräder und zwei gekrümmte Zahnstangen aus dem Zahnkranz vor der Verschrottung zu retten. Die Stadt hat die Teile vom Bahnhof weggeholt und in Sicherheit verbracht.

Nun sollte in Ruhe überlegt werden, wo aus diesen Teilen ein "Denkmal" aufgestellt werden könnte und wie es aussehen sollte, - erinnert es doch an eine geschichtsträchtige Sache. Dies muß aber auch fachgerecht gemacht werden. Es darf keinerlei Gefahr für Personen durch umfallende Teile entstehen. Fachgerechtes Aufstellen bedeutet aber auch, daß damit finanzielle Kosten verbunden sind."

Seid gegrüßt aus der Heimat,
Uwe."

"Mit lautem Hupkonzert und blinkenden Lichtern hat der nette Fahrer die Scheibe bei mir in der Vorbeifahrt verabschiedet." (Der Letzte der darauf gedreht hat, war nun auch der Letzte beim traurigen Abschied am Bahnhof.)"

Hier noch drei Bilder aus dem Jahre 1993

Und damit als Letztes nicht nur Trauer zurückbleibt, zeigt uns Herr Uwe Schulze eine vollständige Drehung einer Dampflokomotive auf der Weiperter Drehscheibe, fotografiert am 25.05.1997:

Fotos von 1993 und 1997: Volkmar Richter

(mit Nachtrag vom 12.02.2018)

Abriss der Weiperter Drehscheibe
für Lokomotiven